Homepage von Birgit Böckli


Wie ich es sehe - Gedanken über das Schreiben belletristischer Texte

 

Teil 3: Der Rhythmus

"Wer hat die Kekse aus der Dose geklaut?" So beginnt ein Vers, mit dem Eltern das rhythmische Sprechen ihrer Kinder trainieren können. Jede Silbe wird einzeln betont, im Idealfall wird auch noch dazu geklatscht.

 Wie aber kommt ein geschriebener Text zu seinem Rhythmus, seiner Melodie? Auch hier empfehle ich wieder, viele unterschiedliche Bücher zu lesen und dabei hin und wieder zu hinterfragen, woran es liegen könnte, wenn eine Stelle sich besonders gelungen anhört, wenn sie in den Ohren nachklingt. Ebenso interessant sind selbstverständlich Stellen, an denen es holpert, wo irgendetwas rein gefühlsmäßig nicht zusammenpaßt. Ein Sänger wird bei aller Technik nur die Töne treffen, wenn er ein Gehör dafür entwickelt, und im Grunde ist es beim Schreiben nicht viel anders. Sicherlich ist ein gutes Sprachgefühl hilfreich, man kann es aber trainieren und weiterentwickeln.
Vielen Autoren fällt es leichter, solche weniger gelungenen Stellen in ihren eigenen Geschichten herauszuhören, wenn sie ihre Texte laut vorlesen. Ich persönlich habe das nie getan, weil ich ohnehin die Erzählerstimme beim stillen Lesen klar und deutlich hören kann.


Daß sich kürzere und längere Sätze hin und wieder abwechseln sollten, um ein angenehmes Miteinander zu ergeben, ist allgemein bekannt. Welche Möglichkeiten aber gibt es darüberhinaus, um einen guten Klang zu erzeugen?
Und hier kommt wieder einmal eines meiner Lieblingsthemen zur Sprache. Die unter Autoren häufig diskutierte Frage nach den Adjektiven, den Füllwörtern und Vergleichen. Ja, ich nenne diese Worte in einem Atemzug, denn hinsichtlich des Klanges können sie alle derselben Aufgabe dienen: Leerstellen zu stopfen. Das hört sich übel an, muß es aber gar nicht sein.
Selbstverständlich sollte gerade der noch wenig geübte Autor aufpassen, daß er den Text durch solche Worte nicht unnötig überlastet und aufbläht, und ein passendes Verb kann inhaltlich betrachtet wohl stärkere Emotionen beim Leser auslösen als solch ein Anhängsel. Dennoch können ganz gewöhnliche Zusätze dafür sorgen, daß der Gesamteindruck runder ausfällt.
Ein Beispielsatz:     Stefanie verließ ihre Wohnung und ging die Treppe hinunter.
                              Stefanie verließ ihre Wohnung. Sie ging die Treppe hinunter.
Allein durch Verbindung oder Abgrenzung dieser beiden Sätze entsteht ein unterschiedlicher Klang. Vielleicht aber würde sich bei einer Umstellung der Worte der erste Teil gefühlsmäßig besser in den gesamten Text einpassen, und ich meine jetzt nur den Rhythmus, nicht den Inhalt.

 Nun hieße es also: ….verließ Stefanie ihre Wohnung.

Klingt schöner? Ist aber kein Satz, richtig? Wenn ich mich also für diese Variante entscheide, vielleicht auch, damit nicht zuviele Sätze hintereinander mit dem Subjekt beginnen (Prinzip der Abwechslung), muß ich mir überlegen, wie Stefanie ihre Wohnung verließ. Nun ergeben sich wieder unzählige Möglichkeiten. Stelle ich ein Adjektiv an den Anfang, wie „Wütend“ oder „Müde“, beginne ich mit einem Nebensatz oder einem Vergleich?
Nachdem sie die Blumen aus dem Fenster geworfen hatte, verließ sie die Wohnung.
Zitternd wie Espenlaub  verließ sie die Wohnung.
Die Hände noch immer mit Herrmanns Blut besudelt, schlich sie aus der Wohnung .
Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt.
Durch diese Beispiele möchte ich verdeutlichen, daß nach meinem Empfinden die Sprache in solchen Fällen Vorrang haben sollte, auch wenn der Nutzen dieser Füllwörter nicht sofort zu erkennen ist. Selbstverständlich sollten solche Anhängsel zum Inhalt der Geschichte passen und möglichst nicht allzu klischeebeladen sein. Das Espenlaub ist schon ziemlich abgegriffen. Auch sollte der Autor versuchen, den Text durch ein solches Vorgehen nicht so stark zu beeinflussen, daß Handlung oder Aussage darunter leiden. Es ist also ein behutsames Herangehen anzuraten.
Wenn ich also der Meinung bin, daß ein Dialog, der mit „sagte er“ endet, sich gefühlsmäßig nicht gut in die Melodie der Geschichte einpaßt, werde ich ebendieses „sagte er“ durch einen solchen Zusatz erweitern, einfach damit es besser klingt. Dann sagte er eben lächelnd, leise oder mit einem fiesen Grinsen, was er zu sagen hat.
Das Schreiben ist eine besondere Kunstform. Ein Autor hat im Normalfall keine Bühne zur Verfügung, er kann sein Publikum nicht mit Hilfe irgendwelcher Lichteffekte beeindrucken, ihm stehen auch keine Farben zur Verfügung, um beim Leser Emotionen zu wecken.  Ein Autor muß die Bilder, die beim Schreiben in seinem Kopf entstehen, direkt in die Köpfe seiner Kunden projizieren. Und eine der Grundlagen ist nun die Sprachmelodie, bei der sich, ähnlich einem Puzzlespiel, jedes Teil an das nächste anpaßt, damit die Geschichte auch wirklich zur Geltung kommt.
Das macht zugegebenermaßen ein wenig Mühe, aber ich finde, einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.

 

 

 

Teil 2: Der Schreibstil

Und wie funktioniert das denn jetzt eigentlich in der Realität, wird sich manch einer fragen, der zum ersten Mal eine eigene Geschichte schreiben möchte? Einfach Wörter aneinanderreihen? Entsteht so wirklich Kunst? Doch schon bald, spätestens nach einem enttäuschenden Feedback seiner Leser, wird er einsehen, daß zum belletristischen Schreiben eine ganze Menge mehr notwendig ist. Nun gehört dieser junge angehende Autor aber nicht zu denjenigen, die sofort das Handtuch werfen, er hat sich etwas vorgenommen, und er bleibt dran, muß dran bleiben, weil er eine Vision hat. Er möchte einen Text erschaffen, der bei seinem Publikum Emotionen auslöst, er will herausfinden, worin genau das Geheimnis liegt, aus einer lesenswerten eine spannende, mitreißende Geschichte zu machen.

Sicherlich gibt es sehr sehr viele Komponenten, wie die Zutaten für einen Kuchenteig, die alle berücksichtigt werden müssen, und die meisten davon kann man in den gängigen Schreibratgebern finden.
Mir geht es heute zunächst einmal um den Stil, die Art, wie ich meinen Text angehe, die Erzählstimme, die meinen Leser tragen soll, und das muß sie, sonst nützen mir all die schönen bunten Zusatzelemente nichts mehr. Der Tonfall ist meines Erachtens extrem wichtig.
Die Aussage, daß ein Autor allein durch jahrelange Übung seine Fähigkeiten verbessert, mag sicherlich stimmen, und die meisten werden irgendwann auf eine Stimme stoßen, die sich durch all ihre Geschichten zieht, die sie begleitet und sich schon während der ersten Sätze automatisch zu Wort meldet. Der Autor hat seinen eigenen Stil gefunden.

Gratuliere, möchte man da rufen, denn auf diesen Moment hat er lange gewartet, hat vielleicht nicht einmal gewagt, von einem Schreibstil zu sprechen, weil ihm das lange Zeit viel zu vermessen erschien.
Mich erfaßt bei den Worten "persönlicher Schreibstil" immer ein gewisses Unbehagen. Natürlich gibt es Autoren, deren Sprache mich fasziniert, Texte, bei denen ich immer wieder innehalte, um eine Passage ein zweites Mal zu lesen, weil sie einfach schön, tiefgründig oder in irgendeiner Form beeindruckend formuliert ist. Dennoch stört mich der Mythos ein wenig, der sich um die jeweilige Ausdrucksweise rankt.

Meiner Meinung nach sollte nicht ein Autor einen eigenen Stil besitzen, eine Geschichte ist es, die ihren eigenen Stil braucht, ein Tempo, einen Rhythmus, eine Wortwahl und Atmosphäre, die der Handlung entspricht. Und das gilt nicht nur für grundsätzlich unterschiedliche Genres wie Kinderbuch oder Thriller, sondern für jedes einzelne Manuskript. ich muß mir vorher überlegen, was ich bei meinem Publikum erreichen möchte. Welchen Tenor hat meine Geschichte, ist es eine lockerleichte Liebesromanze oder ein Drama? Auch das Spiel mit den Erzählstimmen kommt hier zum Tragen. Wer spricht hier zu meinen Lesern? Handelt es sich um einen altmodischen Menschen aus adligen Kreisen oder ein Straßenkind, das nie eine Schule besucht hat? Spielt die Story im jetzt oder vor vielen hundert Jahren? Natürlich kommt es auf solche Details ganz besonders im Rahmen der Dialoge an, dennoch sollte man auch die angestrebte Grundstimmung von Anfang an im Auge behalten. Man muß diese Stimmung während des Schreibvorgangs spüren. Wenn der Autor beim Schreiben feuchte Augen bekommt, weil gerade einer seiner Lieblingsfiguren etwas Entsetzliches widerfährt, ist die Chance groß, daß der Leser später ähnlich empfinden wird. Eine lustige Szene sollte den Autor mindestens so zum Lachen reizen wie er sich das später von seinem Publikum erhofft. Für mich besitzt das Erschaffen eines Textes in der Tat mystische Elemente, die sich nicht erklären lassen. Ich versuche, eine Welt im Kopf eines anderen zu erschaffen, ich möchte, daß er die Bilder vor Augen hat, die ich mit meinen Worten für ihn zeichne.

Um die richtige Tonart zu finden, muß ich selbst meine Akteure gut kennen, und damit meine ich nicht ihren Lebenslauf und ihre Gewohnheiten. Ich gehöre zu der Fraktion Autoren, die sich mit der Erstellung eines Exposés ziemlich schwer tun. In der Regel schreibe ich lieber locker drauf los, um später zähneknirschend alles wieder zu entwirren. Ich möchte sicherlich niemanden zu dieser Methode drängen, ich denke, beide Seiten haben ihre Berechtigung. Aber für mich hat Schreiben sehr viel mehr mit Gefühl als mit Planung zu tun, deswegen lasse ich mich mehr von Stimmungen leiten als von Logik. Und vielleicht sollte auch unser junger Autor es einfach einmal versuchen, und nicht verbissen nach dem richtigen Stil suchen, sondern für einen Moment still werden und in sich hinein horchen. Wenn er Glück hat, wird er eine Antwort auf seine Fragen erhalten...

 

 

 

Teil 1: Die Figuren:

Wir kennen sie alle, die Protagonisten, deren Schicksal uns in Atem hält, um die wir bangen und mit denen wir hoffen. Atemlos blättern wir vor, nur um zu erfahren, ob sie uns bis zum Ende der Geschichte erhalten bleiben, und selbst nach dem Zuklappen des Buches können wir uns gedanklich nicht so schnell wieder von ihnen lösen.
Und obwohl wir uns nicht mehr daran erinnern können, wann genau der Autor uns erzählt hat, daß Hans-Peter lange blonde Locken besitzt, daß Waltrude am liebsten in weiten Blumenkleidern herumläuft, sehen wir sie gestochen scharf vor unserem inneren Auge.
Wie aber macht der Autor das oder besser gefragt: wie könnte er es machen?

Wie bei den meisten Fragen, über die schon eine Menge Leute sich die Köpfe zerbrochen haben, gibt es auch hier wieder viele verschiedene Antworten, und sie alle haben wohl ihre Berechtigung.
Es gibt durchaus erfolgreiche Bücher, ja, Klassiker, in denen der Autor seine Figuren äußerst liebevoll bis hin zu den kleinsten Details beschreibt, und das mag bei vielen Lesern funktionieren.
Bei mir funktioniert es nicht.
Ich bin der Meinung, bei äußeren Beschreibungen ist in jedem Falle weniger mehr. Gerade bei meinen Protagonisten lasse ich Haar- und Augenfarbe häufig ganz weg. Der Leser macht das schon selbst, kauen Sie ihm nur nicht alles vor. Schon öfter habe ich nach dem Lesen zu hören bekommen, man habe die Person ganz deutlich vor Augen gehabt, aber nachträglich festgestellt, daß die Dinge, die man gesehen habe, überhaupt nicht im Text standen.
Wie also ist so etwas möglich?

Für mich ist wichtig, daß ich nur sehr wenige Details beschreibe, und diese auch nicht als plumpe Aneinanderreihung von Äußerlichkeiten, womöglich noch in Sätzen voller Hilfsverben verpackt.
Er war groß und breitschultrig, hatte ein markantes Kinn und schwarze Haare. Wer will sowas lesen?
Stattdessen sollte man solche Dinge, wie überhaupt alle Informationen, sorgfältig in den Text verpacken und nur wie zufällig immer mal in die Handlung einstreuen. Das kann man über die Wahrnehmung anderer Figuren anstellen. Sie sah, wie er den Holzklotz auf einer seiner breiten Schultern balancierte..., oder innerhalb eines Dialoges zum Ausdruck bringen. "Du hältst dich wohl für unbesiegbar mit deinen zwei Meter zehn, was?"
Aber auch das sind einigermaßen plumpe Beispiele. Mir gefällt es besser, wenn der Leser selbst seine Schlüsse ziehen kann, beispielsweise der Held schon früher wegen seiner riesigen Statur gehänselt worden wäre, denn in einem solchen Fall wäre die Information über seine Körpergröße tatsächlich zur Nebensache degradiert und würde nicht weiter stören, da gleichzeitig etwas über seinen Charakter gesagt würde, das den Leser vermutlich viel mehr interessiert. Er wurde gehänselt? Wie ging er damit um? Und was sagt seine Reaktion von damals über den Menschen aus, mit dem wir es heute zu tun haben? Schließlich wollen wir uns die Figur nicht nur wie auf einem Bildnis anschauen, wir wollen sie kennenlernen, uns im besten Falle in sie hinein versetzen. Womit wir beim Wichtigsten angekommen wären. Der tieferen Bedeutung.

Wenn wir uns also mit äußerlichen Beschreibungen schon zurückhalten und sparsam damit umgehen, so sollten wir besonders darauf achten, daß diese Teilaspekte, die wir uns herauspicken, nicht zufällig ausgewählt wurden, sondern zusätzliche Aussagen über die jeweilige Figur, im besten Falle Rückschlüsse auf ihren Charakter zulassen.
Vielleicht hat jemand einen besonders affektierten Gang oder eine Behinderung, eine seltsame Marotte, sich zwanghaft die Haare aus dem Gesicht zu wischen, wenn er aufgeregt ist. Solche Kleinigkeiten sind es, die in meinen Augen eine Figur lebendig werden lassen, vielmehr als die Farbe ihrer Augen oder der Schnitt ihrer Bluse.
Den Rest können wir getrost dem Leser überlassen.