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Nacht der Verdammten - Ein Horrorkurzroman

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Zunächst ist es Neugier, die den 13-jährigen Darius antreibt, als er von unerklärlichen Todesfällen erfährt, doch schon bald findet er sich in einem Alptraum wieder, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Wer ist der unheimliche Killer, der nur in Vollmondnächten zuschlägt? Und was steckt wirklich hinter den Geschichten über sogenannte Wolfsmenschen? In einer Urlaubspension lernt Darius den Biologen Professor Falken kennen, der ein starkes Interesse an diesen Fragen zu haben scheint. Bald schon macht sich Darius selbst auf die Suche nach Antworten...

 

Leseprobe

 

Kapitel 1

 

„Sieh mal, hast du das gelesen?" Der Junge reichte seiner Mutter eine Zeitung über den Tisch, wobei er beinahe die Colaflasche umgestoßen hätte.

„Pass doch auf! Was meinst du denn? Mondscheinkiller, was soll das bitte sein?" Regina Mainhard warf ihrem Sprössling einen sorgenvollen Blick zu. Darius mochte aussehen wie das blühende Leben, er hatte sogar ein wenig Farbe bekommen, seitdem sie hier waren, doch wie er sich tatsächlich fühlte, wusste selbst sie nicht zu sagen. Wie reagierte ein Dreizehnjähriger auf den Tod des Vaters?

Sie schob die düsteren Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf den Artikel. „Seit drei Monaten sind hier Menschen gestorben? In Vollmondnächten?" Das klang wie ein Schauermärchen.

Darius grinste, und die winzigen Sommersprossen auf seiner Nase leuchteten in der Sonne wie Goldstaub. „Nicht einfach gestorben. Sie wurden richtig zerfleischt! Eine Katze hat's auch erwischt."

Regina lief es eiskalt den Rücken herunter. „Na, also wenn ich das gewusst hätte.." Sie griff ein wenig hektisch nach ihrem Limonadenglas und zuckte zusammen, als Professor Falken plötzlich an ihrem Tisch stand. Der Mann tauchte stets aus dem Nichts auf wie ein Schatten. Nur das schlechte Gewissen, beruhigte sie sich. Als wäre sie Schuld am Tod ihres Mannes, als hätte sie dem Jungen den Vater genommen. Wahrscheinlich war sie es, die in Behandlung gehörte.

„Na, Darius, hast du deine Mutter schon gefragt? Wir wollten nämlich zusammen angeln gehen, wenn Sie nichts dagegen haben.”

Regina seufzte. Das Lächeln des alternden Mannes tat ihr gut. „Hören Sie, Professor, wissen Sie etwas über diesen Mörder, der sich hier herumtreiben soll?" fragte sie ängstlich und warf ihrem Sohn einen weiteren zweifelnden Blick zu.

„Na, na. Sie machen sich wohl Sorgen, wie? Also, laut Zeitungsmeldungen war sich die Polizei da nie so sicher, ob es sich überhaupt um einen Menschen gehandelt hat. Die Spuren deuteten eher auf einen Bären oder ähnliches hin. Seltsam war allerdings, dass es ausnahmslos in Vollmondnächten zu solchen Angriffen kam. Aber ich kann Sie beruhigen, beim letzten Vollmond ist rein gar nichts vorgefallen, das Raubtier scheint weitergezogen zu sein, vielleicht wurde es auch erlegt. Außerdem wollen wir ja nachmittags zum See. Der Finkenweiher soll sehr schön sein. Und ganz ehrlich, ein Junge in Darius’ Alter langweilt sich doch auf die Dauer an einem solchen Ort."

Und damit hatte er sie. Regina spürte, wie ihr flau im Magen wurde.

„Darf ich, Mama?"

„Na schön, aber du bist vor Einbruch der Dunkelheit wieder in der Pension. Und geh dem Professor nicht so auf die Nerven, ja?" Sie lächelte unglücklich.

 

Obwohl der Finkenweiher ebenso wie die Burgruine eine regionale Attraktion darstellte, konnte ihnen niemand richtig den Weg beschreiben, sodass der klapprige, wüstensandrote Passat eine Weile umher irrte, ehe sie endlich den Parkplatz erreichten. Die Gegend wirkte verlassen, die kleine Holzhütte, in der man im Hochsommer Bier und Limonade kaufen konnte, stand jetzt, Mitte September, bereits leer. 

Schweigend marschierte Darius neben dem Professor den Trampelpfad entlang. Er fühlte sich ein wenig befangen, schließlich hatten sie sich erst vor vier Tagen in der Urlaubspension kennengelernt. Falken schien eine Art Dauergast zu sein, er wohnte bereits seit vier Wochen hier. Ein Biologe im Ruhestand, offenbar alleinstehend. Mehr wusste Darius bisher nicht über den Mann.

„Anglersee Finkenburg/Baden verboten!" verkündete ein Schild, das schon bessere Tage gesehen hatte.

„Gar nichts zu sehen vom Weiher", murmelte Darius, der unter jedem Arm einen zusammengeklappten Campingstuhl trug. „Mir fallen gleich die Arme ab."

Im nächsten Moment wäre er beinahe mit einem Fuß im Wasser gelandet, das sich als trüber Ausläufer unter dem hohen Schilf verbarg.

Unbeholfen landete Darius samt den Stühlen im struppigen Gras. Der Professor half ihm lächelnd auf die Beine.

Der See wirkte größer als erwartet. Wie eine polierte Marmorplatte breitete sich das schwarzgrüne Gewässer vor ihren Augen aus. Kleinere Teppiche aus Wasserlinsen kämpften gegen eine gelbliche Übermacht welkender Teichrosenblätter an. Darius folgte dem Mann um die dichtgefiederte Biegung.

„Du musst jetzt schon ganz leise sein, sonst verscheuchst du uns alle Fische."

„Was für Fische gibt es denn hier?"

„Oh, ich tippe in jedem Fall auf eine Menge Rotaugen, vielleicht auch Schleien oder Aale. Aber berühmt ist der See für seine großen Hechte. Komm, wir schauen uns mal da drüben um."

Mit leuchtenden Augen betrachtete Darius das stille Gewässer. Trotz des herrlichen Wetters waren sie ganz allein. Ob das irgendwie mit den Morden zu tun hatte? In der Tat hatten die Zeitungen eine vorläufige Entwarnung ausgesprochen, seit in der letzten Vollmondnacht nichts mehr vorgefallen war. Entweder war die Bestie weitergezogen und trieb nun woanders ihr Unwesen oder aber, falls es sich doch um einen Menschen handeln sollte, hatte der Täter beschlossen, sich nicht länger auf bestimmte Mondphasen zu beschränken, was manche Leute befürchteten. Im Übrigen, dachte Darius, der seine Meinung meist für sich behielt, war es natürlich genauso gut möglich, dass der Killer schlichtweg mit einer Halsentzündung im Bett lag und sich eine vierwöchige Auszeit genehmigte.

Darius verdrängte die bösen Gedanken. Er wollte sich nicht selbst um das Erlebnis dieses klaren Spätsommertages bringen, die Vorstellung fühlte sich irgendwie falsch an.

Endlich schien Falken einen geeigneten Platz gefunden zu haben. An der Nordseite flankierte ein lückenhafter Bestand kränklicher Pappeln den See, und einer dieser gebrechlichen, braun verfärbten Bäume war anscheinend vor einiger Zeit endgültig zusammengebrochen. Seine oberen, nahezu skelettierten Äste ragten über den schwarzblauen Uferschlamm hinaus, der wie dicke Tinte einen morastigen, auf seltsame Weise lebendigen Film zu ihren Füßen bildete, und die Spitze, nicht viel mehr als dürres Gestrüpp, schwebte über dem tieferen, glasigen Wasser.

„Ideal", murmelte Falken, und in seinen Augen tanzte der Funke einer uralten Begeisterung. „Umgestürzte Bäume sind einfach perfekt. Von den Ästen fallen Insekten ins Wasser, verstehst du? Der Neubeginn der Nahrungskette."

Darius machte sich schweigsam daran, die beiden Stühle aufzustellen. Er schmeckte den Duft des feuchten Ufers als modrigen Hauch auf seinen Lippen und fühlte sich wie betäubt von dieser Idylle der Vergänglichkeit. Am liebsten wäre er ganz allein gewesen mit diesem Gefüge aus Bildern und Sinneseindrücken. Es kam ihm beinahe frevelhaft vor, diese Einheit einer ihrer Kreaturen zu berauben.

Falken hatte seinen Angelkoffer aufgeklappt und ließ seinen Schützling in Ruhe die verschiedenen Utensilien und künstlichen Köder bestaunen.

„Der ist lustig", bemerkte Darius und hielt einen Fisch aus Gummi in die Höhe.

„Ein Tauchwobbler", brummte Falken. „Genau richtig für Hechte."

Mit geschickten Fingern steckte er die Route zusammen. Darius beobachtete andächtig, wie der Professor ein Stück Stahlstrang an der Monofilschnur befestigte und den Drilling daran einhakte.

„Ich habe selbst erst vor ein paar Monaten angefangen, mich mit dem Angeln zu beschäftigen", sagte Falken.

„Und haben Sie schon Hechte gefangen?"

„Überhaupt keine Raubfische. Mein größter Erfolg waren ein paar Aale, und da war ein Bekannter dabei, der sich damit auskennt. Im Grunde müsste ich jeden Handgriff noch im Buch nachschlagen. Bist du jetzt enttäuscht?"

Darius blickte in die blassen Augen des Mannes und schüttelte lächelnd den Kopf. Er war fast ein bisschen froh über Falkens Geständnis.

Die heißesten Stunden des Nachmittags neigten sich ihrem Ende zu, und das Licht, das zwischen den Bäumen hervor sickerte, erinnerte an geronnene Milch. Falken hatte eine Reihe kleiner Gegenstände auf einer Wolldecke ausgebreitet. Er erklärte Darius, wann Messer, Schere und Fischtöter zum Einsatz kamen und zeigte ihm die Arterienklemme, die als Hakenlöser diente.

„Und jetzt werfen wir die Angel aus", verkündete er halblaut. "Ich denke, wir versuchen es dort drüben, wo die Äste ins Wasser hängen. Dort lauern häufig Raubfische."

Mit einem eleganten Überkopfwurf beförderte er den künstlichen Köder ins Wasser. Sie warteten. Eine Zeitlang geschah überhaupt nichts. Falken zupfte hin und wieder an der Angelschnur, um den Köder in Bewegung zu halten, aber er sagte kein Wort. Sie saßen nebeneinander auf den beiden weißen Plastikstühlen wie ein altes Ehepaar und verfolgten das Nachlassen des Lichtes auf der spiegelnden Oberfläche. Weitere Minuten später, die sich wie geschmolzenes Metall durch sein Bewusstsein arbeiteten, begann Darius, mit schmalen Augen das Gras der Uferböschung und den dunklen Schlamm zu erkunden, der sich klebrig daran festklammerte. Ein paar Feuerwanzen zogen mit aneinander gepressten Hinterleibern durch das Gewirr von halbverdorrten Schilfstengeln, nur wenige Vogelstimmen durchbrachen die Stille, aber das wirkliche Erlebnis war der Geruch, diese Komposition aus Werden und Vergehen, die sich beruhigend um sie ausbreitete wie eine uralte Erinnerung.

Kurz bevor die Sonne das Wasser des Sees in flüssiges Kristall verwandelte, fiel Darius‘ Blick auf etwas Helles ganz am Rand der Feuchtzone. Auch bei genauerem Hinsehen konnte er nicht erkennen, worum es sich handelte. Für den Stängel einer Pflanze war es ziemlich kurz, und die fahlgelbe Farbe versetzte ihm einen Stich, den er sich nicht erklären konnte. Vorsichtig erhob er sich und machte ein paar Schritte zum Ufer hin, beugte sich unsicher  über das Ding, das da störrisch aus dem Flachwasser emporragte, und seine Augen weiteten sich vor Schreck.

 


 

Kapitel 2

 

„Professor", stammelte er mit heller Stimme. „Professor, bitte…"

Der Mann erhob sich wortlos und kam näher heran, blieb dicht neben ihm stehen, dort, wo die Hand leicht gekrümmt aus dem Wasser schaute.

„Heilige Scheiße!" gab Falken mit einer rauen, fremdartigen Altmännerstimme von sich, die Darius nochmals zusammenfahren ließ.

„Ist das ein Mensch dort im Wasser?" fragte er, in der kindlichen Hoffnung, der Mann an seiner Seite möge das Offensichtliche ignorieren und ihn mit einer anderen Erklärung überraschen.

„Wir müssen die Polizei verständigen", grunzte Falken und begann geräuschvoll damit, Kescher und Ersatzspule in seinem Zubehörkoffer zu verstauen.

„Und wenn er nur…" Doch Darius sah ein, dass es zwecklos war, den Satz zu beenden. Sie waren seit einer Dreiviertelstunde hier draußen, und die Färbung der aufgedunsenen Haut erzählte ihre eigene Geschichte. Dieser Mensch war nicht einfach nur bewusstlos.

 

Als endlich der Streifenwagen eintraf, hatte sich ein kühler Wind eingestellt, der Darius frösteln ließ. Falken hatte ihm eine Trainingsjacke um die Schultern gelegt, die jetzt wie eine rot - weiße Mönchskutte an ihm herabhing.

Die Polizisten schauten ins Wasser, schüttelten die Köpfe und riefen über Funk nach weiteren Polizisten, und kurze Zeit später wimmelte es am Finkenweiher von Leuten mit und ohne Uniform. Drei Männer trugen komisch weiße Plastik - Überzüge, die Darius an Katastrophenfilme erinnerten. Ein saurer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Zum dritten Mal musste er seine Adresse angeben, dann wurde schließlich der Tote geborgen.

„Sieh dir das lieber nicht an", riet der Professor, aber Darius reckte bereits den Hals, um auch ja nichts zu verpassen. Als er den Mann betrachtete, stellte er fest, dass es nicht der Zustand war, der ihn abstieß. Allein dass ein Mensch den Heimweg angetreten hatte, machte ihn in Darius Augen noch nicht zu etwas Monströsem.

Wohl niemand hatte erwartet, die Leiche in tadelloser Verfassung vorzufinden, aber dies war eine Kuriosität, über die sich sofort zwei Wissenschaftler hermachten wie hungrige Ameisen. Sowohl die Hosenbeine als auch beide Hemdsärmel waren völlig zerrissen, bei dem Hemd fehlten zudem sämtliche Knöpfe, und der breite, viereckige Brustkorb leuchtete eierschalenfarben in der hereinbrechenden Dämmerung. Die Fingernägel waren größtenteils zersplittert und rissig.

Darius nahm all diese Einzelheiten mit vollkommener Reglosigkeit in sich auf, bis sein Blick auf das Gesicht des Toten traf. Der Mann mochte irgendwo jenseits der vierzig gewesen sein. Um die scharfgekrümmte Nase und den verbissenen, schmalen Mund herum rankten sich tiefe Falten. Darius ließ sich nicht von der Hautfarbe beeindrucken, er  wusste, dass das Wasser an dem Körper gearbeitet hatte, und es kam ihm vollkommen natürlich vor. Rötliches Haar klebte am Kopf und überschattete Kinn und Wangen.

Mit angehaltenem Atem betrachtete Darius dieses Gesicht und musste plötzlich würgen. Es überkam ihn aus dem Nichts, ohne Anzeichen von Ekel oder Übelkeit, und unsichtbare kräftige Hände zerrten ihn wenig einfühlsam nach hinten, bevor er das wertvolle Beweisstück mit seinem Magensaft besudeln konnte.

„Wirklich kein schöner Anblick", sagte einer der Polizisten zu ihm, ein junger Hauptmeister mit rosigem Gesicht, in dem irgendein Vorfahr einen asiatischen Einschlag hinterlassen hatte. „Nix für Kinder. Ich würd mir das auch nicht freiwillig antun. Bringen Sie den Jungen besser ins Hotel zurück, Mann. Wenn's noch Fragen gibt, können wir Sie ja anrufen. Alles klar, Großer?" Er tätschelte Darius Nacken mit einer speckigen Handfläche und grinste.

Falken trug jetzt die Stühle und den Kasten, Darius ging schweigend neben ihm her. Es wurde jetzt beunruhigend schnell dunkler. Hätte er den Kopf ein wenig gedreht, hätte er die Kreisel ihrer Taschenlampen über dem Wasser tanzen sehen wie aufgeblasene Leuchtkäfer, doch er hatte jedes Interesse an dieser Gratisvorstellung verloren.

Falken schwieg auf den ersten beiden Kilometern stadteinwärts, aber als sie die erste beleuchtete Kreuzung erreichten, wandte er Darius sein ernstes geduldiges Gesicht zu. „Sag mir, was du gesehen hast."

Darius starrte in die Scheibe, die nur sein mageres Spiegelbild zurückwarf, und zuckte leise die Schultern. Es sollte gelangweilt wirken, doch das feine Zittern seiner Hände verriet ihn.

 

Ende der Leseprobe

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